Turturro

German

Ich machte mich also auf in Alexias Vorgarten, just zu jener Stelle, an der sie mich zurückgewiesen hatte, und wartete, sie war nicht zu Hause. Einmal mehr war ich der Wartende und wünschte mir, der Erwartete zu sein, aber diesmal musste ich nicht lange ausharren, denn Alexia kam nach einer halben Viertelstunde frohen Mutes nach Hause, sie konnte nicht wissen, dass ihr Geliebter mit einer Erektion gestorben war, sein Glied würde sie nie mehr beglücken, auch wenn es für immer steif war, vielleicht hatte er an sie gedacht, als er starb, so wie auch ich an sie gedacht hatte, als ich mir eine Kugel in den Kopf geschossen hatte. Alexia suchte nach dem Schlüssel und pfiff vor sich hin, und hätte ich pfeifen können, ich hätte es getan, so aber beschränkte ich mich darauf, einen Kiesel in ihre Richtung zu werfen, worauf sie sich umdrehte und zusammenfuhr, wer sieht schon gerne Gespenster.

Aber ich war schon kein Gespenst mehr, als ich dies bemerkte, ich war jetzt alles und nichts und unendlich Turturro, Rauch und Nichtrauch und immer wieder Turturro…

»Turturro!«, sagte sie, mehr brachte sie nicht hervor, ungläubig stand sie da und sah mein Gesicht, mein Gesicht von damals – vor sieben Jahren, als ich noch der stille Bewunderer im Hintergrund war. Mein Anblick schien sie zu treffen, sie fasste sich ans Herz, an die Brust, die ich nie hatte fassen dürfen, als ich noch lebte. Ich schwieg, so wie Gespenster immer schweigen, es sei denn, Fantasten statten sie mit Rasseln, Ketten und Geheul aus, aber ich war ein richtiges Gespenst, und so schwieg ich und warf bloß meinen treuherzigen Blick. Dann winkte ich sie an mich heran und deutete auf meine Lippen, sie sollte mich einmal küssen, wie Liebende sich zu küssen pflegen, damit alles klar wäre, für immer alles klar wäre zwischen uns und ich meine Ruhe finden könnte, und tatsächlich kam sie nach kurzem Zögern auf mich zu. Ich war wie Rauch, der in seinen eigenen Kringeln kreist, aber gleichwohl spürte ich ihre warmen Hände, roch ihren Duft, ihr Fendi und ihr Shampoo, und nach und nach schien sie zu begreifen, dass ich ihren Kuss brauchte, um zur Ruhe zu kommen, damit es mich aus mir selbst herauszog.

Mit ihren Lippen setzte sie zum Kuss an, und auch wenn sie nichts spüren konnte als einen seltsamen Hauch, spürte ich umso mehr, fühlte reines Glück und wusste mit einem Mal, dass ich nicht wissen wollte, warum sie mich nicht gewollt hatte. Sie küsste mich und erlöste mich, ein Gespenst zu sein, endlich konnte ich dorthin, wo man nicht mehr zurück muss, ich küsste sie, um für immer zu verschwinden. Unter ihren Küssen verrauchte ich, nicht ohne zuvor kurz an ihre Brust zu fassen, die ich zu Lebzeiten nie hatte berühren dürfen, ich verrauchte, das war’s, weder sagte ich etwas, noch würde sie verstehen, warum ich nichts sagte, ich, der ich nichts sagen konnte. Von ferne noch sah ich jene Schwaden, die kurz darauf in ihrem Vorgarten erschienen, und sah, wie sie erstarrte, als ein Gespenst mit einer Beule in der Hose auftauchte.

Aber ich war schon kein Gespenst mehr, als ich dies bemerkte, ich war jetzt alles und nichts und unendlich Turturro, Rauch und Nichtrauch und immer wieder Turturro, den ich unendlich durchlaufe, Turturro und Nichtturturro, denn jetzt bin ich auch, was ich nie war, zum zweiten Mal gestorben, um endlich zur Ruhe zu kommen, mit dem Gefühl von Alexias Lippen auf den meinen, die auch die ihren sind, aber ebenso jene von Carlotti, Lippen, die zugleich Lippen sind und Kuss und etwas anderes, von dem ich nicht weiß, was es ist, vielleicht Sehnsucht oder Verlangen oder auch nur Rauch.

— Daniel Zahno, Alle lieben Alexia
(Frankfurt: Weissbooks, © 2011, pp. 29-39)
REPRINTED WITH THE PUBLISHER’S PERMISSION

English

So I headed off to Alexia’s front yard, to just that spot where she had rejected me, and waited, she wasn’t home. Once again I was the one waiting and wished to be the one awaited, but this time I didn’t have to hold out long, after seven or eight minutes Alexia came home in good spirits, she could not know that her lover had died with an erection, his member would never again pleasure her, even if it was erect forever, perhaps he had thought of her as he died, just as I had thought of her as I put a bullet in my brain. Alexia looked for her key and whistled to herself, and if I could have whistled I would have done it, but as it was I was confined to throwing a pebble in her direction, at which point she turned around and recoiled — after all, who likes seeing ghosts.

But I was already no longer a ghost as I observed this, I was now everything and nothing and endlessly Turturro, smoke and not-smoke and again and again Turturro…

“Turturro!” she said, it was all she uttered, she stood there incredulous and saw my face, my face from back then — seven years earlier, when I was still the secret admirer in the background. The sight of me seemed to affect her, she clutched her heart, the breast that I had never been allowed to feel while I was still alive. I was silent as ghosts are always silent, unless fantasists outfit them with rattles, chains and howls, but I was a proper ghost, and so I was silent and simply cast my faithful gaze. Then I waved her toward me and pointed to my lips, she should kiss me just once like lovers kiss, so that everything would be clear, everything would be forever clear between us and I could find my peace, and in fact after a brief hesitation she came over to me. I was like smoke that swirls in its own rings, but nonetheless I felt her warm hands, smelled her scent, her Fendi and her shampoo, and gradually she seemed to recognize that I needed her kiss so I could come to peace, so that I could be drawn out of myself.

With her lips she formed a kiss, and even if she couldn’t feel anything but a strange breath, I felt all the more, felt pure happiness and knew at once that I didn’t want to know why she hadn’t wanted me. She kissed me and released me from being a ghost, finally I could go to that place from which one no longer has to return, I kissed her so that I could disappear forever. Under her kisses I drifted away like smoke, but not without briefly clutching at her breast first, which I had never been allowed to touch in my lifetime, like smoke I drifted away, that was all, I didn’t say anything, nor would she understand why I said nothing, I who could say nothing. From a distance I saw those billows that soon appeared in her front yard and saw how she froze as a ghost emerged with a bulge in his pants.

But I was already no longer a ghost as I observed this, I was now everything and nothing and endlessly Turturro, smoke and not-smoke and again and again Turturro, whom I endlessly traverse, Turturro and Not-Turturro, for now I am also what I never was, dead for a second time in order to finally come to peace, with the feeling of Alexia’s lips on mine, which are also hers, but also those of Carlotti, lips that are at once lips and kiss and something else, what that is I don’t know, maybe desire or yearning or merely smoke.

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